Musik

Youn Sun Nah in Singen

Was Ortsnamen angeht ist Singen (gemeint ist hier Singen, Hohentwiel) ja geradezu prädestiniert für Konzerte. Meine Motivation war aber lediglich, Youn Sun Nah noch einmal live zu sehen, und Singen ist eben noch einigermaßen einfach zu erreichen und vom Termin her passte es auch.

Der Ort des Geschehens

Mein Hotel lag direkt neben der Stadthalle, in der das Konzert stattfinden sollte, was dann - die zwei Stunden Zugfahrt nicht mit gerechnet - den mit Abstand kürzesten Weg zu einem Konzert ergab. Die Stadthalle ist einerseits mit moderner Technik ausgerüstet (LCD-Anzeigen an den Sitzen, für die Platznummern, hatte ich auch noch nicht gesehen), andererseits mangelte es aber auch an ein paar Basics, wie etwa Barcode-Scannern für die selbstausgedruckten Tickets (die nur per Augenschein kontrolliert wurden). An die Hinweisschilder, wonach das Mitnehmen von Jacken in den Saal aus Brandschutzgründen(?!) nicht erlaubt sei, hielt sich auch kaum jemand - auch nicht das Personal, das am Eingang die Tickets kontrollierte. Nicht, dass irgend etwas davon ein Problem gewesen wäre - es fiel mir nur auf.

Die Halle ist groß (bis zu 690 Sitzplätze, laut Homepage) und war praktisch voll. Ich hatte einen Platz in der ersten Reihe ergattert, etwas links (aus meiner Sicht) von der Stelle, an der das Mikro für Youn Sun Nah stand. Die Bühne ist fast brusthoch, was dann entweder zu einem steifen Nacken oder einer eher lässigen Sitzhaltung führt.

Vorweg gab es eine Ansage. Offenbar war dies das 500. Konzert, das der lokale Jazzclub veranstaltete. Erwähnt wurde auch, dass die Künstler darum bitten würden, nicht zu fotografieren, weil das als störend empfunden würde. So explizit hatte das vor den beiden anderen Auftritten, die ich gesehen hatte, niemand gesagt, aber auch dort hatte sich das Publikum ja sehr diszipliniert verhalten. Ich trug (natürlich) meinen Narrative Clip, der aber bei den Lichtverhältnissen erwartungsgemäß an seine Grenzen stieß. Die unten eingefügten Schnappschüsse sind von entsprechender Qualität - dass sie überhaupt gemacht wurden, hat aber sicher niemanden gestört.

Das Konzert

Den Auftakt machte wieder Ulf Wakenius. Wenn ich mich recht entsinne, hatte er sogar drei Stücke angekündigt, spielte aber alles in einem langem Stück durch.

Dann kam Youn Sun Nah - und began (leider) wieder mit Hurt. Wie mir schien dieses Mal auch in einer besonders langgezogenen Version, die sich nur langsam steigerte. Musikalisch gab es daran nichts auszusetzen, aber ich bin immer noch der Meinung, dass der Song inhaltlich einfach nicht zu ihr passt.

Der zweite Song wischte dann aber alles beiseite und bei dem grandiosen Finale hatte ich schon einen Kloß im Hals. Das nächste Stück kündigte sie als Komposition von Ulf Wakenius an. Als Inspiration habe ein Ereignis bei einem Aufenthalt in Frankreich gedient, erklärte sie: Es war viel Wind (das sagte sie auf Deutsch). Und dann, man kann es nicht anders beschreiben, wurde sie der Wind. Mit ein wenig Echo auf dem Mikro entwickelte sich ein laues Lüftchen zunehmend zu einer strammen Brise, dann einem Sturm. Wenn sie dabei tatsächlich abgehoben wäre, hätte das in dem Moment wohl auch niemanden mehr gewundert.

Obwohl dies immer noch die Tour zum aktuellen Album Lento war, unterschied sich die Auswahl der Songs von denen in Heidelberg. Neben dem Wind-Song (Mistral) gab es z.B. auch noch einen englischen Folksong über einen Sailor, den ich auch noch nicht gehört hatte. Hier griff sie an einer Stelle zu einem zweiten Mikrophon, das ihre Stimme in einen ganzen Chor verwandelte. Das erzeugte zwar einen schönen Effekt, störte mich aber auf einer anderen Ebene: Hat sie das nötig? Und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte es vielleicht auch leise Zweifel am Rest des Auftritts verursacht: Wie viel davon ist denn wirklich live? Nicht, dass ich ernsthaft Zweifel hätte - aber so leicht kann man ohne Not einen falschen Eindruck erzeugen.

Falls es tatsächlich Zweifel gegeben hätte: Momento Magico stand auch wieder auf dem Programm. Mir ist immer noch komplett rätselhaft, wie Youn Sun Nah es am Ende dabei schafft, zuerst einen lang anhaltenden Ton zu halten und dann ansatzlos die Stimmlage zu wechseln ohne dabei erkennbar Luft zu holen. Mir blieb jedenfalls schon vom Zuhören die Luft weg.

So manch anderer, schon vertrauter, Song wurde an diesem Abend nicht gespielt: Calypso Blues und Pancake etwa fehlten ebenso wie Breakfast in Baghdad. Und viel zu früh kam schon die Ankündigung des "letzten" Stückes (oder maybe not). Es war wieder Ghost Riders in the Sky, das Ulf Wakenius mit einem Solo unter Mithilfe eines Glases (statt seiner üblichen Wasserflasche) an der Gitarre einleitete. Youn Sun Nah holte dann wieder unerwartet tiefe und raue Töne hervor.

Auf die Zugaben mussten wir nicht allzu lange warten. Nach dem traurigen koreanischen Liebeslied (Kangwondo Arirang) gab es dann als endgültiges letztes Stück wieder Randy Newman's Same Girl auf der papierstreifen-gesteuerten Musikbox.

Da die Signierstunde vorher angekündigt worden war, fand sich eine größere Menschentraube am kleinen Verkaufsstand ein. Es blieb aber friedlich und Youn Sun Nah strahlte alle fröhlich an. Überhaupt wirkte ihr Lächeln ansteckend - ich habe selten so viele lächelnde Menschen auf einmal gesehen.

Fazit: Immer wieder ein Erlebnis. Angesichts der Größe der Halle stellte sich nicht diese Intimität wie in Heidelberg ein, aber Youn Sun Nah kann auch eine so große Gruppe von Menschen problemlos in ihren Bann ziehen.

Ein Auftritt von Youn Sun Nah ist eine unbedingte Empfehlung. Auch, oder gerade, wenn man mit Jazz sonst nichts am Hut hat. Ihre CDs geben auch nur einen unzureichenden Eindruck von ihren stimmlichen Qualitäten. Wenn sich die Gelegenheit ergibt: Hingehen!

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