Youn Sun Nah in Heidelberg (Karlstorbahnhof)
Ich hatte meine Kamera dabei. Im reichlich eng bestuhlten Karlstorbahnhof (weniger Fußraum gibt es nur im Billigflieger) entwickelte sich aber ein derart intimes Konzert, dass es einfach unangemessen schien, zwischendrin mit der Kamera herumzufuchteln und (wir saßen weitgehend im Dunkeln) die anderen Zuhörer mit dem Display zu irritieren.
Der Auftritt von Youn Sun Nah, wieder mit Unterstützung durch Ulf Wakenius, hat sich aber auch so in mein Gedächtnis eingegraben.
Nachdem Ulf Wakenius die Rolle des Vorprogramms übernommen und zwei ineinander übergehende Stücke gespielt hatte, kam Youn Sun Nah zu ihm auf die Bühne. Sie begann mit "Hurt", einer Coverversion des gleichnamigen Nine Inch Nail-Stücks. Hierzu muss ich leider sagen, dass ich diesen Song für den Schwachpunkt des neuen Albums Lento halte. Stimmlich gibt es nichts auszusetzen, aber inhaltlich passt Hurt einfach überhaupt nicht zu dieser lieben, ständig ansteckend lächelnden Person, die Youn Sun Nah offenbar ist. Johnny Cash hat man seine Version abgenommen, Youn Sun Nah leider nicht.
Danach wurde es besser. Sehr viel besser. Diese Frau muss man einfach live erlebt haben, sonst glaubt man es nicht. Es gibt scheinbar nichts, was Youn Sun Nah nicht singen kann. Vom Chanson über ein traditionelles koreanisches Stück, Coverversionen, Eigenkompositionen, hin zu diversen lautmalerischen Einlagen - anything goes.
Das folgende Stück, so kündigte Youn Sun Nah etwa "Momento Magico" an, sei von Ulf Wakenius geschrieben worden. Er hätte dabei nur leider vergessen, dass sie auch noch atmen müsse. Die schwierige Passage meisterte sie jedoch problemlos - um dann am Ende mit einem lang anhaltenden Ton Zweifel zu nähren, ob sie überhaupt atmet. Da blieb dem Publikum die Puste schon vom Zuhören weg.
Und so wechselten sich mal schnellere, mal ruhigere Stücke ab. Das Publikum war dabei die ganze Zeit über sehr diszipliniert - man hätte die berühmte Nadel fallen hören können (nebenbei: auf jünger als Mitte Zwanzig hätte ich niemanden im Publikum geschätzt, und selbst die waren schon die Ausnahme).
"Breakfast in Baghdad" diente nur als Klammer für ausführliche Improvisationseinlagen. Ulf Wakenius demonstrierte etwa, dass man eine Gitarre auch mit einer Wasserflasche spielen kann, während Youn Sun Nah ihrer Fantasie und Stimme freien Lauf ließ und quer durch alle Stimmlagen improvisierte, bevor man - unterbrochen durch mehrmaligen spontanen Applaus - dann doch wieder zum eigentlichen Stück zurückkehrte.
Viel zu früh kam schon der Hinweis, dass das nächste Stück schon das letzte wäre - mit einem lächelnd gehauchten "(maybe not)". Und das hatte es nochmal in sich: "Ghost Riders in the Sky". Wo kam denn auf einmal diese raue Stimme her? Mit Leichtigkeit wechselte Youn Sun Nah auch hier wieder zwischen Stimmlagen, dass einem schwindlig werden konnte (vom Bedürfnis, sich selbst zu räuspern, ob der rauen Stimme, ganz abgesehen).
Ob des lang anhaltenden Beifalls kamen die beiden gar nicht von der Bühne herunter und entschlossen sich, die Zugaben gleich anzuhängen. Als Youn Sun Nah anschließend von den Veranstaltern noch ein großer Blumenstrauß überreicht wurde, musste sie dann doch ein paar Tränen der Rührung verdrücken. Die Versicherung, dass sie diesen Abend nie vergessen würde, nahm man ihr dann direkt ab.
Als wirklich letztes Stück - trotz Zwischenruf "maybe not" - gab es dann "Same Girl", vom gleichnamigen Album. Ulf Wakenius sah nur noch von hinter der Bühne zu, wie sich Youn Sun Nah selbst auf einer Spieluhr begleitete. Das Papierband, das diese steuerte, war eine schöne Metapher für das nun unabwendbar näher kommende Ende eines fantastischen Konzerts.