Emusic Revisited
eMusic.com ist ein Musikdownload-Dienst, der vor allem Musik weniger bekannter Künstler anbietet, diese dafür aber ohne jegliches DRM. Seit dem letzten Review hat sich bei eMusic so einiges geändert, daher ist es an der Zeit für ein Update.
"Die Berichte über mein Ableben sind stark übertrieben" - dieser bekannte Ausspruch von Mark Twain kann wohl auch auf eMusic.com angewandt werden. Nach der Abschaffung der "unlimitierten" Downloads sah es zunächst so aus, als würden die User dem Service nun scharenweise den Rücken kehren, was somit das "Aus" für diesen bedeutet hätte. Offizielle Zahlen zu den Benutzerzahlen gibt es zwar nicht, aber offenbar sind es immer noch mehr als ausreichend viele User, um den Service am Leben zu erhalten.
Doch der Reihe nach ...
Rückblick
eMusic.com, 1998 als unabhängige Firma gestartet und später vom Musikindustrie-Riesen Universal übernommen, bot jahrelang einen "unlimitierten" Download von Musik im MP3-Format (hauptsächlich aus dem Independent-Bereich) an. Im Oktober 2003 schließlich stieß Universal, zu diesem Zeitpunkt in heftigen finanziellen Schwierigkeiten, den Service ab. Die neuen Eigner änderten als erstes die Spielregeln: Für seine $9,99 im Monat bekommt man seither nur noch 40 Titel.
10 Monate lang lief die Website mit der neuen Abrechnungsmethode, aber dem alten Design so weiter. Verbesserungen gab es indes auch: Die neu eingeführten Listen erfreuten sich bei den Usern bald großer Beliebtheit, und auch das Forum, das man mit der Ankündigung der Änderungen abgeschaltet hatte, erschien wieder. Darüber hinaus gab es auch den monatlichen "eMusic Sampler" mit ca. 15 von eMusic ausgesuchten Titeln, deren Download nicht berechnet wurde.
Ende September 2004 schließlich wurde ein "Relaunch" der Website angekündigt und durchgeführt. Die Preise und Spielregeln blieben unverändert, doch die Website wurde komplett umdesigned. Zu den angekündigten Verbesserungen zählten u.a. neuer "editorialer" Content von eingesessenen Musikjournalisten.
Relaunch
Mit dem Relaunch einher ging auch eine Pressekampagne, die den doch immer noch recht unbekannten Service mal wieder ins Gespräch bringen sollte. Rückblickend muss man allerdings sagen, dass diese Chance eindeutig verspielt wurde. Zum einen ging die Pressemitteilung einige Tage vor dem eigentlichen Relaunch durch die Presse - bis die Site dann wirklich in ihrer neuen Form zur Verfügung stand, war die Meldung schon längst wieder von den Frontseiten verschwunden. Und diejenigen, die sich in den ersten Wochen nach dem Relaunch auf eMusic.com einfanden und durch die Liste neuer Releases blätterten, mussten sich erst einmal durch eine zweistellige Anzahl von Seiten mit irgendwelcher obskurer indischen Musik kämpfen. Natürlich hat auch diese Musik ihren Platz bei eMusic, doch durch die - wohl eher ungewollt - prominente Platzierung bekamen interessierte Besucher einen völlig falschen Eindruck von dem Service.
Content
Der angekündigte neue "Content" hinterließ auch gemischte Eindrücke. Sicher, zu vielen Bands und Interpreten gibt es nun Einführungen in Form kurzer Hintergrundartikel. Leider fällt das völlige Fehlen von Informationen bei den weniger bekannten Künstlern so nur noch mehr auf. Auch sind einige der Artikel offensichtlich veraltet und umfassen noch nicht die letzten Veröffentlichungen der Musiker - auch wenn diese bereits bei eMusic zum Download bereit stehen.
Fast vollkommen fehlen auch weiterhin Informationen zu den einzelnen Alben. Da man ja kein Booklet hat und die MP3-Tags für das Erscheinungsjahr ebenfalls fehlen, muss man sich Informationen aus anderen Quellen besorgen - was gerade bei "kleineren" Künstlern oft nicht so einfach ist.
Eine Art "Leitartikel" findet sich nun auffallend verlinkt von der eMusic-Startseite her. Dieser beleuchtet meist bestimmte Musikstile. Das ist gut gedacht und auch gut gemacht, könnte aber eindeutig öfter aktualisiert werden - als regelmäßiger Besucher sieht man derzeit über Wochen hinweg die gleiche Startseite.
Features
Gemischt ist auch das Bild bei den Features. Manches fiel weg, manches wurde verbessert, anderes verschlimmert. Und die neuen Features überzeugen auch nicht alle. Im Einzelnen:
Listen
Die Listen waren vor dem Relaunch in die Site eingebunden: Interessierte man sich für ein Album, wurden in einer Seitenleiste auch Listen aufgeführt, in denen dieses Album enthalten war. So konnte man oft "verwandte Seelen" unter den eMusic-Usern finden, die einen ähnlichen Musikgeschmack hatten. Viele User führten auch nützliche, informative oder einfach nur kuriose Listen. So entstanden Listen von Alben mit nur einem oder zwei Titeln darauf (praktisch, wenn man am Ende des Monats noch 1 oder 2 Downloads übrig hatte), Listen zu Coverversionen bestimmter Künstler, oder was auch immer den Usern gerade als passendes Thema zu einer Liste einfiel.
Seit dem Relaunch sind Listen nur noch über das Userprofil der einzelnen User erreichbar, was sie sehr viel schwerer aufzufinden macht und vor dem Normaluser praktisch versteckt. Auch wurden die existierenden Listen bei der Umstellung beschnitten (was die Anzahl der Einträge und die Länge der Kommentare angeht) und Links sind in den Listen-Kommentaren auch nicht mehr zugelassen.
Die Attraktivität und Nützlichkeit der Listen ist seit dem Relaunch stark eingeschränkt. Warum man hier, man muss schon beinahe sagen: mutwillig, Content zerstört hat, der von den Usern freiwillig und mit viel Aufwand zusammengetragen wurde, ist nicht nachzuvollziehen.
Empfehlungen
Die alten Empfehlungen der Art "wenn Dir das hier gefällt, könnte Dir auch das da gefallen" gibt es noch in Form von kleinen Listen mit "related artists" auf den Interpreten-Seiten. Die Empfehlungen basierend auf den bisherigen Downloads sind dagegen verschwunden.
Fans, Freunde und Nachbarn
Wohl als Ersatz für die Empfehlungen anhand der bisherigen Downloads wurde das Konzept der Nachbarn eingeführt: In seinem Userprofil findet man eine Liste von eMusic-Usern, die sich ähnliche Musik heruntergeladen haben. Ferner gibt es auf den Interpretenseiten auch eine Liste von 5 "Fans" des Interpreten - ebenfalls eMusic-User, die nach nicht nachvollziehbaren Kriterien ausgewählt wurden.
Zusammen mit der Möglichkeit, eMusic-User in eine Liste von Freunden aufzunehmen, will man so wohl den Community-Gedanken stärken. Eigentlich eine gute Idee, doch krankt es noch an der Ausführung. Es ist nicht wirklich motivierend, sich durch die Userprofile der Nachbarn, Fans und Freunde klicken zu müssen, bis man einmal herausgefunden hat, welche Musik diese sonst noch hören. Da waren die alten Empfehlungen einfach direkter.
Nebenbei: Man kann nun, was auf der alten Site nicht ging, die komplette Liste der Downloads eines jeden Users einsehen. Es wäre im Sinne des Datenschutzes wünschenswert, wenn man diese Möglichkeit abschalten oder einschränken könnte - und sei es nur wegen des einen oder anderen "peinlichen" Albums, das man vielleicht in der Liste hat ...
Reviews
Neu ist, dass eMusic-User nun auch Reviews zu den einzelnen Alben veröffentlichen können. Natürlich waren die User schon immer erfindungsreich und haben ihre eigenen Reviews eben über die Listen veröffentlicht. Nun aber stehen die Usermeinungen direkt auf der Seite des jeweiligen Albums. Auch kann man alle Reviews, die ein User geschrieben hat, über dessen Userprofil einsehen.
Bewertungen
Ebenfalls neu ist auch die Möglichkeit, Interpreten und Alben auf einer Skala von 1 bis 5 Sternchen zu bewerten. Um eine Bewertung richtig einschätzen zu können, sollte aber die Anzahl der abgegeben Wertungen angezeigt werden. So ist derzeit nicht ersichtlich ob eine Bewertung mit 4 Sternchen von einem einzelnen User stammt oder den Schnitt der Bewertungen von 100 Usern darstellt - eine nicht ganz unwesentliche Information.
eMusic Sampler
Der eMusic Sampler, eine monatlich von eMusic zusammengestellte Liste von Titeln zum kostenlosen Download, wurde eingestellt. Derzeit gibt es keine kostenlosen Downloads.
Neuheiten
Vollkommen umstrukturiert im Vergleich zu früher wurde die Liste der neuen Downloads. Das ist einerseits zu begrüßen, da die alte Version nur eine schlichte Liste ohne weitere Filtermöglichkeiten war. Andererseits funktioniert die neue Version bis heute nicht zufriedenstellend, vor allem, wenn man als regelmäßiger Besucher auch wirklich die neuen Releases sehen will.
Auch hier springen die eMusic-User wieder in die Bresche. User "Mutantis" hat erkannt, dass neue Releases oft mit einigen Tagen Verspätung in der Liste erscheinen, so dass man sie oft nicht sieht, wenn man sich immer nur die Neuzugänge der letzten Tage ansieht. "Mutantis" postet derzeit regelmäßig die "wahre" Liste der Neuigkeiten im Forum.
Forum
Nicht gerade auffallend platziert (nur ein kleiner Link "Message Boards" am Fuß einer jeden Seite weist darauf hin), war und ist das Forum eine der wichtigsten Anlaufstellen für den eMusic-User. Hier wird nicht nur Dampf abgelassen, sondern auch engagiert und kompetent geholfen. Download-Probleme? Probleme, die passende Musik zu finden? Im Forum findet sich immer jemand, der eine Antwort hat.
Was dem Forum eindeutig fehlt ist allerdings eine Suchfunktion. Wer eine interessante Diskussion findet, sollte sich unbedingt ein Bookmark dafür setzen, sonst findet man sie vielleicht nie wieder ...
Booster Packs
Wem sein Monatskontingent (40 Titel pro Monat für $9,99, 65 Titel für $14,99 oder 90 Titel für $19,99) nicht ausreichte und/oder wer nicht auf den nächstteureren Tarif umsteigen wollte, der konnte sich bisher nur in Geduld (auf das Monatsende) üben.
Mit den Booster Packs kann man nun weitere Downloads zukaufen (10 Titel für $4,99, 25 für $9,99, 50 für $14,99). Im Unterschied zum normalen Monatskontingent verfallen diese auch nicht am Monatsende und können so nach und nach genutzt werden. Dies ist sicher eine nützliche Ergänzung, wenn mal wieder ein ganzer Schwung neuer Musik kommt, die man unbedingt jetzt gleich haben muss ...
Musikauswahl
Da war doch noch was? Ach ja - die Musik. An der Musikauswahl hat sich nichts geändert: Der Schwerpunkt liegt weiterhin auf Independent und Alternative, man findet aber auch Jazz, Klassik, sowie so ziemlich jede andere Musikart, ferner "Spoken Word" und spezielle Angebote für Kinder (alles nur in Englisch, natürlich).
Die Versuche vom damaligen Eigentümer Universal, auch bekanntere Namen über eMusic anzubieten, wurden bald wieder beendet. Andererseits verwischen die Grenzen von Independent und "Mainstream" ja auch zunehmend und so findet sicher jeder, der einmal über den Boygroup / Popsternchen-Horizont hinausgeschaut hat, auch bei eMusic ein paar zumindest dem Namen nach bekannte Künstler.
Zugänge ...
Nach dem Relaunch gab es anfangs Kritik an der geringen Zahl der Neuzugänge. Dies hat sich aber mittlerweile gebessert und kann offenbar auch darauf zurückgeführt werden, dass die eMusic-Mitarbeiter mit dem Einstellen neuer Musik schlicht nicht hinterherkommen. Die Unübersichtlichkeit der Neuigkeiten-Liste (siehe oben) trägt hier auch ihren Teil bei.
Neue Musik wird derzeit 4-5 mal pro Woche eingestellt, an manchen Tagen auch gleich 50 oder mehr Alben auf einmal. Seit dem Relaunch sind über 1600 neue Alben hinzugefügt worden, das sind mehr als 100 pro Woche (alleine in der ersten Januar-Woche 2005 waren es exakt 222 neue Alben).
... und Abgänge
Ein leidiges Thema - auch daran hat sich nichts geändert - ist, dass Verträge mit den Labels gelegentlich auch auslaufen und die entsprechende Musik dann sang- und klanglos und ohne Ankündigung aus dem Angebot verschwindet. Dies kann man aber kaum eMusic ankreiden, sondern ist weitgehend ein Problem der Plattenlabels.
Gleiches gilt für die (zum Glück recht kleine) Gruppe von Künstlern oder Alben, die aus lizenzrechtlichen Gründen für User außerhalb der USA nicht zur Verfügung stehen (und auch das kann sich manchmal ohne Ankündigung ändern). Unschön ist allerdings, dass die Beschränkung auf US-amerikanische User erst nach der Anmeldung ersichtlich ist. Wer sich also z.B. bei eMusic anmeldet, um seine Pavement-Sammlung zu ergänzen, wird als Europäer feststellen müssen, dass er lediglich das Album "Crooked Rain, Crooked Rain" (in der neuen 2-CD-Auflage) herunterladen kann.
Fußangeln
Wo wir gerade bei den versteckten Kleinigkeiten sind: Es soll noch einmal erwähnt werden, dass ungenutzte Downloads verfallen. Wer also z.B. $9,99 pro Monat bezahlt und sich nur 20 Titel herunterlädt, hat 20 weitere Titel verschenkt. Nur die zusätzlich gekauften Titel eines Booster Packs werden in den nächsten Monat übernommen.
Und a propos "Monat": Mit dem Relaunch wurde auch dies klammheimlich umgestellt, so dass nun alle 30 Tage abgerechnet wird und nicht mehr nach Kalendermonat. Man sollte also immer in seinem Account nachsehen, wann der aktuelle Abrechnungszeitraum endet. Das dort angezeigte "Refresh"-Datum ist dasjenige, an dem der nächste Abrechnungszeitraum beginnt. Die letzten Downloads sollte man also spätestens am Tag vorher verbrauchen.
eMusic kalkuliert aber offenbar fest mit einem gewissen Prozentsatz an verschenkten Downloads - würden alle User ihre Downloads restlos ausnutzen, müsste man wohl die Preise erhöhen.
Und noch ein Hinweis für Neu-User: 14 Tage lang kann man eMusic kostenlos testen und 50 Titel herunterladen. Hier sollte man sorgfältig mitzählen, denn der 51. Titel führt offenbar bereits dazu, dass die Kreditkarte mit der Monatsgebühr belastet wird - ohne weitere Nachfragen.
Diese kleinen Fußangeln finden sich zwar alle irgendwo im Kleingedruckten, passen aber irgendwie nicht so recht zum "guten Karma", dass man sonst für sich in Anspruch nimmt ...
Fazit
eMusic hat bei der Umstellung der Website einige Fehler gemacht, die die Funktionalität gelegentlich etwas einschränken. Bis diese korrigiert sind (Ansätze und Versprechungen gibt es immerhin schon) hilft im Zweifelsfall auch die Community gerne weiter. Überhaupt sind die User das größte Plus der Site - ohne deren Engagement wäre der Online-Musikmarkt um einen interessanten Anbieter ärmer.
Dreh- und Angelpunkt bei eMusic ist aber das Musikangebot. Wer hier etwas nach seinem Geschmack findet und/oder auch gerne mal nach neuen, un- oder weniger bekannten Künstlern Ausschau hält, kann bei 25 US-Cent pro Song nicht viel falsch machen. Wenn der eigene Musikgeschmack jedoch eher von den Hitparaden geprägt ist, ist man hier wohl verkehrt.
Persönliches Fazit
Auch wenn ich mit einigen Änderungen nicht gerade glücklich bin, werde ich mein immerhin schon seit 2001 bestehendes Abonnement auf absehbare Zeit beibehalten. Das wichtigste an dem Dienst ist eben immer noch die Musik und solange ich diese mit vertretbarem Aufwand finden kann, sehe ich keinen Grund zu kündigen. Ich bin immer auf der Suche nach (für mich) neuer Musik und davon habe ich bei eMusic schon eine Menge gefunden - und derzeit sieht es nicht danach aus, als würde sich daran etwas ändern. Allerdings kann ich eMusic.com beim derzeitigen Zustand der Website nicht mehr ganz so uneingeschränkt weiterempfehlen, wie ich das bisher getan habe. Ich hoffe, das ändert sich auch wieder ...