Politik

Wie viel "1984" steckt in 2016?

Beim No-Spy e.V. passiert auch zwischen den Konferenzen (die nächste wird im Mai 2017 stattfinden) so einiges. Nach dem Erfolg der Lesung mit absurden Szenen aus dem NSA-Untersuchungsausschuss entstand in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Stuttgart die Reihe "(Digitale) Albträume: Literarischer Realitätsabgleich", deren erste Ausgabe am 21. September im Café Lesbar in der Stadtbibliothek stattfand.

Zum Auftakt wurde - natürlich - der Klassiker der Überwachungsliteratur unter die Lupe genommen: "1984" von George Orwell. Das Konzept sah vor, dass drei ausgewählte Stellen vorgelesen und anschließend in Gruppenarbeit diskutiert wurden.

Gibt es wirklich Leute, die zu so einer Veranstaltung kommen? Ja, die gibt es! Mit über 20 Personen war der Abend nicht nur gut besucht - auch das Format wurde gut angenommen und schon bald wurde an drei Tischen ausgiebig diskutiert. Der von mir moderierte Tisch hatte die wohl schwierigste Stelle zu behandeln: Einen Ausschnitt aus dem Buch der Bruderschaft, also keinen Teil der Romanhandlung sondern einen Sachtext innerhalb des Romans. Entsprechend galt es erst einmal zu sezieren, in wie weit die dort angesprochenen historischen Entwicklungen fiktiv oder real waren.

Mich hat der Text ja stark an den Song "Ping Pong" von Stereolab erinnert, wo es u.a. heißt:

it's alright 'cos the historical pattern has shown
how the economical cycle tends to revolve
in a round of decades three stages stand out in a loop
a slump and war then peel back to square one and back for more

bigger slump and bigger wars and a smaller recovery
huger slump and greater wars and a shallower recovery

don't worry be happy things will get better naturally
don't worry shut up sit down go with it and be happy

Im Vergleich dazu der Text aus "1984":

Aber es war ebenfalls klar, dass ein allgemein wachsender Wohlstand die Fortdauer einer hierarchischen Gesellschaft bedrohte, ja, in gewissem Sinn ihren Untergang bedeutete. (...) Würde Wohlstand erst einmal Allgemeingut, würde er keinen Rang mehr verleihen. (...) Denn wenn alle in der gleichen Muße und Sicherheit lebten, würde die große Masse der Menschen, die normalerweise durch die Armut verdummt sind, sich weiterbilden und selbstständig zu denken lernen; und waren sie erst einmal soweit, würden sie früher oder später dahinterkommen, dass die privilegierte Minderheit keine Funktion besaß, und die hinwegfegen. Auf lange Sicht war eine hierarchische Gesellschaft nur auf der Basis von Armut und Unwissenheit möglich.

Oder, wie wir in der Gruppe herausgearbeitet haben: Es gibt einen Zyklus: Krieg, Armut, Unwissenheit und wieder von vorne.

Zum Abschluss stellten die drei Gruppen jeweils ihre Ergebnisse den anderen vor, danach war die Veranstaltung zu Ende. Ingesamt war das Format, trotz des Mitarbeiten-Müssens, offenbar gut angekommen. Mal sehen, wer alles zur nächsten Auflage, voraussichtlich im Januar, wieder kommt.

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