Haben Sie heute frei?
Beim ersten Mal hatte ich mich ja noch eher darüber amüsiert. Beim zweiten Mal innerhalb einer Woche hat es mich aber doch schon geärgert. Warum, bitte, muss man sich als erwachsener Mensch eigentlich dafür rechtfertigen, an einem Wochentag vormittags einkaufen oder zum Frisör gehen zu können?
Überwachung im Alltag. Heute: Beim Metzger. "Haben Sie frei? Sie kommen sonst doch immer erst abends."
— Dirk Haun (@dirkhaun) February 10, 2015
Natürlich wollen manche Leute einfach Smalltalk machen und stellen dann eben solche Fragen. Trotzdem war ich schon etwas irritiert, als ich von der Bedienung beim Metzger, mit der ich sonst auch nicht mehr Worte als "100 Gramm von dem Schinken da, bitte" wechsle, mit dieser Bemerkung konfrontiert wurde.
Ditto beim Frisör. Ich habe mal von einem Frisörsalon gelesen, bei dem es mehr kostet, wenn man sich mit dem Frisör oder der Frisöse (darf man das überhaupt noch sagen, oder ist das heute eine "Haarstylistin"?) nicht unterhalten will. Die hätten gut an mir verdient, denn bevor ich eine halbe Stunde lang erzwungenen Smalltalk mache oder - wie der Herr neben mir - über die griechische Wirtschaft spekuliere, sage ich lieber gar nichts.
Aber ich schweife ab. Die erste Frage der Haarschneide-Fachkraft war jedenfalls die gleiche wie beim Metzger: "Haben Sie heute frei?" Vielleicht reagiere ich ja über, aber für mich schwingt hier schon so etwas wie ein Vorwurf mit. Um diese Zeit (Dienstag Vormittag!) sitzt ein ordentlicher Deutscher doch bitte im Büro und arbeitet! Oder hast Du etwa nichts zu tun?!
Hier wird - vielleicht unbewusst - ein Weltbild gepflegt, das nur zwei Zustände kennt: Entweder man hat Arbeit (dann hat man an einem Dienstag Vormittag aber auch keine Zeit für einen Frisörbesuch) oder eben nicht - und letzteres legt man mir dann gnädigerweise wenigstens noch als Urlaub aus. Sonst würde ich ja auch kaum 17 Euro für einen Haarschnitt übrig haben.
Okay, ich kann immer noch nicht so recht formulieren, warum mich diese Frage so, offen gesagt, anpisst. Vielleicht, weil mein eigener Status gerade tatsächlich unklar ist: Ich habe einen sicheren, aber langweiligen Job gekündigt und Finanzamt und Arbeitsamt (pardon: Agentur für Arbeit) sind sich gerade nicht einig, ob ich noch arbeitslos oder schon selbstständig bin. Aber deswegen habe ich auch gerade mal Zeit, an einem Dienstag vormittag zum Frisör zu gehen. Was nun aber auch nicht heißt, dass ich nichts zu tun hätte (eher im Gegenteil).
Ich empfinde die Frage vor allem als eine Einmischung in meine Privatsphäre. Sie zwingt mich geradezu, mich für mein Nicht-Arbeiten rechtfertigen zu müssen.
Die Frage deutet m.E. aber auf ein viel grundsätzlicheres Problem hin: Man geht eben immer noch davon aus, dass ein ordentlicher deutscher, offensichtlich gesunder Mann doch bitteschön von 9-17 Uhr in einem ordentlichen Job in einem Büro zu verbringen habe. Andere Arten der Berufstätigkeit kommen in diesem Weltbild nicht vor. Als angehender Freiberufler gelte ich da dann wohl als Exot - und darf mich wohl schon einmal seelisch und moralisch auf weitere solche Fragen einstellen.