Politik

Der Tag danach - Ein #Brexit-Rant

Bis zur Abstimmung im Britischen Parlament gab es vier Möglichkeiten für den weiteren Verlauf des Brexit. Zwei "vernünftige", eine, die man nicht wirklich wollen kann, und eine, die nicht wirklich weiter hilft.

Mit der Abstimmungsniederlage für den so genannten "Deal" zwischen der EU und Großbritannien ist schon einmal eine der vernünftigen Optionen weggefallen. Wenn man denn unbedingt einen Brexit will, wäre das der beste Weg gewesen.

Die andere vernünftige Option ist natürlich, Artikel 50 zu widerrufen. Diese Option hat man den Briten erst kürzlich noch mit einem Gerichtsurteil gewissermaßen auf dem Silbertablett serviert: Solange noch kein Vertrag unterschrieben ist, so das Gericht, kann die austrittswillige Nation jederzeit einfach einen Brief an die EU schreiben und mitteilen, "Sorry, wir haben es uns anders überlegt." Und damit wäre der Brexit abgesagt.

Die Option, die niemand, der bei klarem Verstand ist, haben wollen will, ist "No Deal". Eine Umfrage in Großbritannien hat ergeben, dass viele Briten diese Möglichkeit offenbar interpretieren als "es wird sich nichts ändern." Das erklärt zwar, warum diese Option so populär zu sein scheint, könnte aber falscher nicht sein. Es würde sich vielmehr alles ändern. Am 30. März wären, im Falle eines Brexit ohne Vereinbarung, eben "No Deal", schlagartig alle jemals zwischen der EU und Großbritannien geschlossenen Verträge hinfällig. Vieles wäre von jetzt auf gleich vollkommen ungeregelt ("Darf mein Flugzeug noch bei Euch landen?"), anderes würde auf Default-Regelungen zurückfallen. Der Handel zwischen Staaten etwa sieht für solche Fälle die Minimal-Regeln der WTO vor. Der ehemalige Chef der WTO hat aber im Britischen Fernsehen selbst diese Situation mit einem Abstieg von der ersten in die vierte Liga verglichen. Das hat aber selbst die Fussball-begeisterten Briten nicht beeindruckt.

Und dann gibt es noch die Option, die niemandem wirklich weiterhilft: Eine Verlängerung. Davor steht zunächst einmal ein großes Hindernis. Artikel 50 legt klar eine Frist von zwei Jahren fest, dann ist die auslösende Nation raus aus der EU. Die verbliebenen EU-Staaten können diese Frist verlängern, allerdings muss diese Entscheidung einstimmig fallen. Folglich müsste die britische Regierung hierfür verdammt gute Gründe ins Feld führen, denn bei 27 Staaten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass einer ausschert.

Und wenn eine Verlängerung vereinbart wird - für wie lange? Am 1. Juli tritt das neue EU-Parlament zusammen (dieses Jahr sind Europa-Wahlen). Niemand wird wirklich noch einmal EU-Parlamentarier aus Großbritannien haben wollen, wenn die Chance besteht, dass das Land sich schon kurz danach komplett aus der EU verabschiedet. Eine Fristverlängerung wird also wahrscheinlich maximal drei Monate (April, Mai, Juni) betragen.

Was uns zur Frage bringt, was man in drei Monaten erreichen will, das man in den über zwei Jahren vorher nicht geschafft hat. Sicher, für Neuwahlen oder eine zweite Volksabstimmung bräuchte man diese Zeit. Aber was soll sich dann wirklich ändern? Die größte Oppositionspartei, Labour, ist ebenfalls für den Brexit (oder zumindest ihr Vorsitzender ist es). Die Opposition, die dagegen ist (Liberale, Grüne, etc.) hat beim britischen Wahlrecht praktisch keine Chance, im Unterhaus nennenswert vertreten zu sein. Politisch ist also keine Änderung zu erwarten.

Das größte Problem ist, dass Großbritannien als Ganzes nicht wirklich zu wissen scheint, was es eigentlich will. Der Katzenvergleich, der schon seit dem Brief von Theresa May, mit dem sie Artikel 50 auslöste, im Internet die Runde macht, passt immer noch: Großbritannien verhält sich wie die Katze, die miauend vor der Tür sitzt. Jetzt hat man ihr die Tür geöffnet, aber hindurch gehen will sie dann doch nicht. Zumindest ist das der Eindruck von außen.

Hinzu kommt die falsche Selbsteinschätzung der Briten in Bezug auf ihre Rolle und Bedeutung in der Welt. Ein britischer Freund von mir hat den Brexit treffend mit einem Wort zusammengefasst: Delusional. Es ist (Selbst-)Täuschung, ja schon Wahn. Großbritannien hat seine Rolle als Weltmacht schon lange verloren, nur auf der Insel will man das noch nicht wahrhaben.

Drei Beobachtungen am Rande der Abstimmung gestern unterstreichen das schön:

Vor der eigentlichen Abstimmung über den "Deal" musste das Unterhaus noch über den Antrag eines Hinterbänklers abstimmen, der allen Ernstes vorschlug, dem in monatelangen Mühen ausgehandelten Vertrag, über den die EU mehrfach klipp und klar gesagt hatte, dass er nicht mehr geändert werde, noch einen Anhang hinzuzufügen, der Großbritannien erlauben würde, einseitig den Status des umstrittenen Backstop zu ändern. Delusion! Man kann doch nicht ernsthaft vorschlagen, einseitig so einen Vertrag ändern zu wollen. Wenigstens wurde dieser Antrag mit 600 Gegenstimmen überdeutlich abgeschmettert. Trotzdem fand er noch 24 Unterstützer.

Der eigentliche Deal wurde dann zur größten parlamentarischen Niederlage einer Regierung seit fast einhundert Jahren (1924). Natürlich haben verschiedene Parteien aus verschiedenen Gründen dagegen gestimmt. Die einen wollen keinen Brexit, den anderen - meisten - ging er nicht weit genug. Dass das aber überhaupt die einzige Option war, die nach zweieinhalb Jahren Brexit-Debatte auf dem Tisch lag, zeigt doch die Sackgasse, in die man sich manövriert hat.

Und dann war da noch die Umfrage, die nun erstmals eine Mehrheit der britischen Bevölkerung gegen den Brexit sieht: 54 Prozent. Nein, das ist kein Tippfehler. Wie kann das sein, dass nach zwei Jahren Brexit nicht mindestens 84 Prozent dagegen sind. 54 Prozent, ernsthaft? Das ist genau so ein Rundungsfehler, wie die 52 Prozent, die damals für den Brexit gestimmt haben.

Delusional. Oder, wie es ein bekannter gallischer Philosoph formulierte: Die spinnen, die Briten.

(Image by Tumisu, from pixabay, CC0)

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